ANALYSEN


Erfolg als Lernbarriere

Über das Wohlstandsrisiko von Erfolg - und das Potential eines neuen Lernverständnisses

Erfolg als Wohlstandsrisiko - dies mag zunächst paradox erscheinen, ist doch Erfolg gerade der Grund, die Ursache für Wohlstand. Wieso also, soll bzw. kann die Ursache gleichzeitig ein Risiko sein? Und falls dem so sein sollte, was kann man dagegen tun? Und was hat dies mit den hier behandelten Themen zu tun?Beginnen wir mit der ersten Frage - und nähern uns ihr über die grundlegende Wirkungszusammenhänge. Jedes Agieren, also auch wirtschaftliches bzw. unternehmerisches, erfolgt durch Menschen. Also gilt es als Erstes, die Funktionsweise menschlichen Handeln zu verstehen. Basis für die folgenden Ausführungen sind daher neben biologischen Erkenntnissen diejenigen der konstruktivistischen  - bzw. genauer: der systemtheoretischen - Schule*, da sie mehr als alle anderen die Wirklichkeit menschlichen Handelns beleuchten - und nicht nur das, was wünschenswert, ideal, optimal wäre.An dieser Stelle müssen wir kurz ausholen, deswegen seien Sie so lieb und geben uns die Zeit für den folgenden Absatz. Wir kehren zügig zurück zu den relevanten Erkenntnissen für das unternehmerische Handeln. Der Mensch ist ein Ergebnis der Evolution; mithin auch alle seine Eigenschaften, Facetten und Fähigkeiten. Eine des zentralen und gegenüber allen anderen Arten differenzierenden Fähigkeiten ist die Bildung des Bewusstseins. Dies nicht verstanden als einfaches Abbild der Realität, sondern als innere Vorstellung des Äußeren, als Konstruktion der Wirklichkeit. Wenn nun das Gehirn, das Innen, seine Wirklichkeit des Außen eher konstruiert als abbildet, wie gleicht es sich denn dann mit der Realität, also dem Außen, ab? Zentrales Element hierfür ist - die Erwartung. Sie schaffen eine Idee im Bewusstsein über das, was in der Umwelt passiert bzw. passieren kann. In der Folge des eigenen Handelns kommt es dann, quasi ganz binär, zu einem einfachen Abgleich zwischen Erwartung und Ergebnis: Übersteigt das Ergebnis die Erwartung, kommt es zur Bestätigung der eigenen Erwartung - und in diesem Rahmen zu positiven Emotionen. Bleibt hingegen das Ergebnis hinter der Erwartung zurück, führt dies zu einer Enttäuschung - und entsprechend zu negativen Emotionen. Nun dürfte unstrittig sein, dass wir Erfolge - und die mit ihnen eintretenden positiven Emotionen - eher anstreben als Misserfolge und die sie begleitenden negativen Emotionen. Bzw. müssen wir formulieren: Sind es gerade diese Emotionen, die uns das Eine erstreben und das Andere meiden lassen. Allein: Was diese Jahrmillionen alte Mechanik der Emotionen nicht mitliefert, ist eine differenzierte Analyse zu den tatsächlichen Ursachen - insbesondere des Erfolges: Lag der Erfolg in unserem Können begründet - oder war es pures Glück oder Zufall? Und dies ist dann unzweifelhaft einer der bedeutsamsten Aspekte für die Entscheidungen über das weitere eigene Handeln.

Nur, dass unsere menschliche Natur (in Form der Emotionen) uns diese Frage im Erfolgsfall kaum stellen lässt. Und exakt hierin liegt denn auch die Gefahr: Erfolg lässt Menschen gemeinhin bequem werden, weil er nicht mehr hinterfragen lässt! Success breeds failure! Wie erfrischend sind dagegen Misserfolge und ihre begleitenden negativen Emotionen, lassen sie uns doch fragend zurück: Warum ist dies nicht gelungen? Was haben wir falsch gemacht? Was müssen wir ändern? Mit anderen Worten: Negative Emotionen sind ein Quell für Erneuerung - für Innovation, für Leben!


Erfolg suggeriert, etwas richtig gemacht zu haben. Dies hemmt tendenziell kritisches Denken - und so potentiell Zukunftsfitness. Das Erfolgsmodell ´Deutschland` ist hiervon besonders betroffen.


Erfolg wird in diesem Sinne spätestens dann zu einer potentiellen Falle, wenn sich die Umweltbedingungen ändern. Denn Vorstellungen und Erwartungen basieren sui generis auf Erfahrungen aus der Vergangenheit - können also nur sehr geschränkt Zukunft abbilden. Und exakt dies ist es, was gerade Europa und im Besonderen Deutschland und seinen Unternehmen widerfährt: Der Erfolg der letzten Jahrzehnte hat, tendenziell, bequem gemacht: Hat doch immer funktioniert, haben wir doch immer so gemacht, warum sollen wir etwas ändern? Die Antwort ist klar: Weil sich die Bedingungen, die dem Erfolg zugrunde lagen, geändert haben! Was nichts anderes heisst als: Wenn wir unseren Wohlstand nicht riskieren / verlieren wollen, müssen wir - besser heute als morgen - anfangen, uns wieder zu öffnen, die Bequemlichkeit hinter uns lassen - und die bestehenden Erfolge nicht als Ergebnis unserer Fähigkeiten zu begreifen, sondern sie hinterfragen. Und nicht nur sie: Wir müssen schnellstmöglich lernen, wieder Fragen zu stellen, unsicher zu sein, verloren zu sein. Ja, dies ist emotional nicht angenehm - aber es ist langfristig der einzige Weg, Erfolg zu haben! Das Wunderbare hierbei: Es existiert sogar ein Medium, was uns hierbei auf beste Weise unterstützen kann: die Kunst! Ist sie doch das Medium, welches uns lehrt, wie man Fragen stellt: Was soll mir dieses Kunstwerk jetzt sagen? Die Funktion von Kunst besteht in der Irritation der individuellen Wahrnehmung über das Bestehende - und folgend der Überführung dieser individuellen Irritation ins Soziale, in den Dialog miteinander - um miteinander neue Interpretationen zu finden, neue Antworten zu entwickeln!

*Zu einer ersten Basisauswahl an Literatur:Berger, Peter L.; Luckmann, Thomas (1966): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Frankfurt am Main: Fischer, 10. Aufl. 1993Luhmann, N. (1984): Soziale Systeme: Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp